eine diplomfeier voller würde
ja, so war es, es war sooo feierlich, dass ich es hier glatt erwähnen muss.
zunächst trat mein professor ans pult und hielt eine kurze ansprache: "ja hallo. ähm. ihr auch hier? ja, nett. ähm. mir ist auch schon ganz feierlich zumute. na dann machen wir jetzt mal los, wo wir schon alle da sind. hm." schlagartig verfielen alle absolventen und gäste in eine hochstimmung sondergleichen. zugegeben, die musik war ziemlich cool, aber dann begann wieder jemand zu reden. an der philosophischen fakultät ist das nicht unüblich. es handelte sich um eine mitarbeiterin des anderen professors, der selbst war nämlich nicht zugegen, scheinbar hatte er etwas enorm wichtiges zu tun. fußnägel schneiden oder dringend irgendwo rumstehen. da muss man verständnis haben, immerhin ist das ein enorm wichtiger mann. aber auch verständnis zu haben ist an der philosophischen fakultät und besonders an meinem institut gewissermaßen basale arbeitsvoraussetzung. andernfalls würde man auch verhältnismäßig schnell dir flucht ergreifen müssen bei einer solchen diplomfeier. nun, besagte mitarbeiterin kündigte mit leicht nörgeliger, monotoner stimme an: "deeer heeerr professooor ist nicht da-ha" (kurzer blick auf ihren stichwortzettel, darüber hinaus kurzes scannen des auditoriums, ob ihre aussage denn nun tatsächlich der wahrheit entspricht. anschließend erleichterter blick) "deshalb sehen wir jetzt eineeen film übeer" (kontrollblick auf den zettel, kurze verwirrung) "die arbeit von den studenteeen mit eben jeneeem abwesendeeeem professor weiel..." (kontrollblick) "es heißt ja immeeer die studenteeen lernen hier nix praktischeees" (zum beispiel zusammenhänge vor einer großen gruppe frei und ansprechend vorzutragen. ) "aber das stümmt ja gar nicht" (kontrollblick) "nee stimmt nicht, nee nee. zum beweis gucken wir jetzt einen" (kontrollblick) "film." (kontrollblick) "so!"
die referentin verlässt das podium. es wirkt ein wenig erleichtert. nach so viel professionalität kann es sich nun wieder etwas gehen lassen. die anspannung weicht sichtlich von ihm. doch zu früh gefreut. nun treten einige studentinnen herbei, die den immernoch absolut feierlich gestimmten zuhörern versichern, sie würden jetzt als nächstes tatsächlich einen film sehen dürfen, der die praktische arbeit der studenten mit dem schon oft erwähnten, dennoch abwesenden professor, zum thema hat.
ich möchte darauf hinweisen, dass auch zu diesem zeitpunkt noch keiner bemerkt hat, dass man zu beginn der veranstaltung das mikro ausgestellt hat, damit die musiker keine unschönen tonkatastrophen erleben müssen. es hat sich aber keiner getraut, es den referenten mitzuteilen. oder aber das publikum war einfach erleichtert, das elend nicht in voller lautstärke hören zu müssen.
nun, es folgte der film. ähm, das machwerk. um die ehre meines studiengangs zu retten, möchte ich folgende punkte vortragen:
- wir sind an dieser fakultät im besitz von stativen
- es gibt studenten, die wissen:
1.: dass man erst die tiefenschärfe einstellt, bevor man in ein bild hinein zoomt
2.: dass man schon im exposé eines films die zielgruppe festlegt
3.: dass die schnittgeschwindigkeit auch bei einem dokumentarfilm heutzutage höher ist als 1 schnitt alle 5 minuten
4.: dass man verdammt nochmal bewegung im film braucht und keine interviews einfach abfilmt
5.: dass man bei den differenzfeldern die armut nicht vergessen darf (herr professor...)
6.: dass studenten auch meines faches nicht den ganzen tag lang pferderennen spielen und sich über ihre befindlichkeiten austauschen. (es ist ein erhebendes gefühl, auf der diplomfeier ein solches video zu sehen, nachdem man sich mindestens ein halbes jahr und auch schon die 11 semester davor durch wissenschaftliches stoff gefressen hat. ich habe zwischen luhmann, der kritischen theorie frankfurter schule, hermeneutik, derrida und foucault nicht ein einziges mal pferderennen gespielt. kann man studenten im angesicht eines solchen videos der rufschädigung für schuldig befinden? arrrr!)
7.: etc.
nun, genug geschimpft.
nein, doch nicht.
ARRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRR!!
so. jetzt aber.
nachdem wir nun alle dermaßen gedemütigt in unseren sitzen hockten, folgte die geistige exekution. alle, die die steuergelder und finanzen ihrer eltern mit pferderennen verprasst hatten, mussten nun, noch immer peinlich berührt, einzeln nach vorn treten und ihr diplom in empfang nehmen. sie wurden mit namen aufgerufen, auf dass man sie auch im telefonbuch nachschlagen und mit anrufen terrorisieren kann. es wurden beweisfotos geschossen!
seither leben wir im untergrund. wir sind von der außenwelt abgeschottet, nur via internet darf ich gelegentlich einen lagebericht abgeben. wir leben zwar in angst, aber wir haben ja immernoch die dialektik, so können wir wenigstens hier in den katakomben wirkungslos debattieren. wir, die große eiterbeule, der mitesser der gesellschaft. wir danken unseren wenigen verbündeten in der normalen welt für die vegetarischen essensspenden aus biologischem anbau. im moment stellt sich eine große knappheit an problemkerzen und papierfliegern ein, wir wären auch hier dankbar für eure hilfe.
nun, ich muss schluss machen, wir bauen uns jetzt ein floß aus sedativa.
1 Comments:
Hey, vorbei!
Merke: Abschlußfeiern sind immer schlimm. Sehr schlimm. Das muss so sein, damit man in der ersten Zeit nach der Sache, die zu Ende gegangen ist, nicht nachtrauert und zurück will. Quasi ein Trauer- und Löseprozess, eine Initiation geradezu. Rituell-symbolischer Tod als Durchgang in das harte, grausame, entbehrungsreiche Leben fern des... Dings, das da vorher war. Uni zum Beispiel. Doofe Dozenten und so.
Aber: Ich gönns dir von Herzen.
14:02
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